Der letzte Kreis – Saga der Stoneborne 1

Isbrand stand still und blickte über die Ebene nach Osten. Fenris’ Sonne war vor ein paar Minuten hinter dem Horizont versunken, noch leuchtete der Himmel rot und gelb aber über ihm zog schon das Dunkelgrün und Nachtblau auf. Bald würden die Schwarzmähnen kommen von Westen. Aus seinem Rücken. Natürlich hätte er lieber anders herum gestanden, aber heute war seine Position im Schildwall nun einmal diese.

Rechts neben ihm stand Arna und links neben ihm Ole. Insgesamt waren sie nur noch vierundzwanzig, die den Schildwall bildeten. In der Mitte des Schildwalls stand ein grosser aufrechter Stein, den Tromund erklommen hatte uns Ausschau hielt. Ausserdem würde er ihnen vielleicht ein wenige mehr Deckung bieten.

Sie waren selbst auf der Suche nach Herden in Richtung Westen zur Küste unterwegs. Ebenso das Rudel Schwarzmähnen, die auf den Steppen Asaheims scheinbar auch das Jagdglück verlassen hatte. Nun jagte das Rudel eben Menschen. Jede Nacht griffen sie an, jede Nacht fanden Sie Opfern, jede Nacht wurde Isbrands Stamm ein wenig kleiner, jede Nacht starben Freunde, Familie. Isbrand war es leid. Trotzig stämmte er das lange schmale Schild in den Boden. Ihre Schild waren hier in der Steppe ihr einziger Schutz vor den Räubern, von denen es viele gab, in vielen Gestalten und praktisch alle waren jedem Menschen überlegen. Aber ein guter Schildwall bot Sicherheit, und sei es nur Selbstsicherheit, durch das Wissen, dass andere einem den Rücken freiheilten.

“Sie kommen. Aus Westen.”, sagt Tromund ruhig, fest, fast schon leise. Sie waren ein Stamm, der weder zuvielen, noch zu lauten Worten neigte. Isbrand blickte sich wieder um, weniger weil er hoffte, im Westen etwas sehen zu könne, sondern weil ihm irgendetwas an dem grossen, aufrechten Felsen seltsam vorkam, aber kam nicht darauf, was es war. In den Steppen von Asaheim gab es regelmässig solche Menhir, übermannshoch, meist schlank, als wären sie Finger von Götter, die unter der Erde lebten. Einige davon waren Orte der Verehrung, die Runen trugen oder zu deren Füssen die Stämme Opfergaben darbrachten. Aber dieser Stein wies weder das eine noch das andere auf und doch …

Kampflärm ertönte von der anderen Seite des Schildwalls. Die Schwarzmähnen griffen an. Mindestens drei, schätzte Isbrand an Hand des Geräusche die zu ihm drangen. Langsam kam Unruhe in den Ring und schnell dreht er wieder den Kopf, weil er meinte aus den Augenwinkeln etwas gesehen zu haben, eine dunkle Gestalt auf der Steppe, in der Ferne, vor dem noch hellen Horizont. Aber da war nichts. Dann gellten die ersten Schreie durch die Nacht. Den alten Tormung hatte es erwischt, Isbrand kannte seine Stimme genau, sie war normalerweise tief und trug weit, aber jetzt war es schon fast ein Kreischen. Und dann die nächste Stimme. Und die nächste. Drei waren viele Opfer heute Nacht. Normalerweise holten die Wölfe nur ein oder zwei Opfer. Und dann sah er zwei der Schwarzmähnen, eine kam von rechts die andere von links, sie umschlichen in einigem Abstand den Schildkreis und liessen den Blick dabei nicht von ihnen ab. Da wusste er, dass es heute Nacht noch schlimmer werden würde. Sehr viel schlimmer. Er konnte ihren Hunger spüren, ihre Mordlust, und nochn etwas anderes, eine Unruhe. Man lebt nicht 16 Jahre auf Fenris, ohne etwas über Wölfe zu lernen. Aber Isbrand blieb keine zeit zum Denken.

Mit einem Satz hatten sie die kaum 10 Meter überwunden, beide gleichzeitig, nebeneinander, direkt auf ihn zu. Aber sie waren zu breit und so griffen sie Ole und Arna an. Isbrand musst nicht nachdenken, er hatten den Schaft seines Speers in den Boden gerammt und mit seinem Fuss abstütz, um dem Einschlag der gewaltigen Bestie etwas entgegen zu setzen zu haben. Aber so konnte er kaum zielen. Das war bei der Geschwindigtkeit mit der sich die Tiere bewegten un dem Spielraum, den der Schildwall bot, aber eh kaum möglich. mit umso mehr Genugtung stellt Isbrand fest, dass er den rechten Wolf am Hals erwischt hatte, und währen dieser nach Arnas Schild hieb und biss, rammte Isbrand drei vier mal schnell hintereinander den Speer wieder in den weichen Hals des Tieres, das drauf hin wütend aufheulte und sich zurückzog.

Auch der Wolf zu seiner Linken war wieder in der wachsenden Dunkelheit verschwunden und mit ihm Ole. Eine Blutspur führt von Oles Platz in die Finsterniss. Isbrand hatte nichts davon gesehen oder gehört, so schnell war es passiert. “Schildwall schliessen!” rief er laut, aber ruhig zu Kaya rüber, die links neben Ole gestanden hat und sie beide bewegeten sich einen Schritt zurück. Dabei bemerkte Isbrand dass weiter rechts und links das gleiche geschah. Die Wölfe hatte ein halbes Dutzend erwischt. Der Schildwall stand kaum noch zwei Meter vom Menhir entfernt, auf den nun Oles Blick wieder fiel. Und jetzt, in der wachsenden Dunkelheit erkannt Isbrand, was ihm an dem Stein komisch vorgekommen war. Dünne blassleuchtenden Linien durchliefen den Stein. In Warmem gelb und orangerot, wie Goldadern oder Magma. Doch eher er mehr als einen Gedanken darauf verwenden konnte, ging der Kampf weiter, ging das Sterben weiter.

Bei diesem Angriff blieb Isbrand verschont. Die Schwarzmähnen griffen woanders an. Nur zwei Kämpfer weiter rechts im Kreis erkannt er die Bestie, die er verwundet hatte. Einen kurzen Moment war er versucht, den Kreis zu verlassen, um dem Wolf seinen Speer in die Seite zu rammen, aber denn machte ein noch jüngerer Kämper weiter rechts diesen Fehler und wurde noch eher er seinen Speer stossen konnte mit einem gewaltigen Hieb in die Dunkelheit katapultiert. Die die Schreie in der Ferne verschwanden oder einfach erstickten, waren sie kaum noch genug Kämpfer um den Schildwall um den Menhier herum zu bilden.

“Kommt auf unsere Seite” rief die alte Kaya und die Verbliebene auf der Ostseite zogen sich schnell und routiniert um den Felsen herum. Aber nicht schnell genug. Noch bevor der Schuldkreis richtig geschlossen war griffen die Wölfe wieder an und ihr Gewalt ihres Ansturms war wilder denn je. Ein jüngerer Wolf, der Isbrand nur etwa bis zur Schulter reichte, schoss auf ihn zu und Isbrand schwang seinen Speer herum. Im letzten Moment, wich der Wolf aus und attakierte Kaya von der Seite während aus Dunkelheit, wie aus dem Nichts die Schwarzmähne auftauchte, die Isbrand zuvor verwundet hatte. Dick lief das rote Blut ihr nachtschwarzes Fell herab. Isbrand konnte seinen Speer nicht benutzen. Aber Arna rammt dem Wolf ihren in den Hals. Ein Gurgeln erklang und die Bestie hieb nochmal mit ihrer mächtigen Pranke nach Isbrand,  fand ein Loch im Schildkreis und zerfetzte Isbrand die Wade.

Isbrand war eingeknickt, hielt aber Schild und Speer weiterhin eisern fest und nutzt nun das Schild als Stützte, um sich wieder aufzurappeln. Der Wolf, den Arna erwischt hatte war abgezogen und dickes Blut floss ihren Speer herab. Nun waren sie nur noch zu viert. Sie bildeten einen Halbkreis mit dem Menhir im Rücken. Die Wölfe waren nicht zu sehen und praktisch nicht zu hören, nur der Wind der über die Steppe wehte, ihr eigener schwerer Atem und dann waren sie wieder da. Aus dem Nichts, ohne Vorwarnung, wie Geister. Als er sich später an diesen letzten Abend seines alten Lebens erinnerte wunderte er sich immer wieder, wie die diese gewaltigen Wölfe es nur hatten schaffen können, sie so unbemerkt anzugreifen. In der Sache war es aber egal, das Ergebniss wüde das selbe bleiben: Nach wenigen Augenblicken wilden Kampfes war Isbrand alleine. Neben ihm lag noch Arna, tot. Von den anderen beiden war nur eine blutige Spur im dunklen Grass geblieben.

Isbrand hatte noch einen Schlag mit einer Pranke an der Schulter einstecken müssen. Er spürte, wie das Blut langsam zwischen seinem Rücken und dem Stein, gegen den er jetzt lehnt herabran. Er hatte sich völlig erschöpft daran niedersinken lassen und wartet nun auf seinen Tod. Jeder den er je gekannte war tot. Die meisten davon in der letzten Stunde von den Wölfen geholt. Es gab niemanden mehr auf der Welt, der noch Teil seines Lebens war. Sein Leben war zuende, selbst wenn die Wölfe ihn verschonen sollten. Es gab nichts mehr.  Im Moment dieser Einsicht sah er die Augen des Wolves aus der Dunkelheit auf sich zukommen, langsam, sicher noch 20 oder 30 Meter entfernt. Das Licht des Menhirs spiegelte sich in seinen Augen. Da versteinerte Isbrands Herz. Ein Griff packe Schild und Speer eiserner als je zuvor. Er stand in einer einzigen langsamen aber kontrollierten Geste auf, ohne seinen Blick von den Augen des Wolfes zu lassen. Er mochte heute Nacht sterben, vielleicht sogar schon in der nächsten Minute, aber ausser seinem Leben hatte er nichts mehr zu verlieren und er war nicht gewillt, es einfach zu herzugeben. Sein Wille war unerschütterlich und sein Herz schlug ruhig und still. Alles wurde sehr leise. Der Wind erstarb und der Wolf kam langsam immer näher, den Kopf gesenkt, die Zahne gefletsch, aber selber auch völlig still. Isbrand streckte sich durch, zog den Speer ein Stück zurück und verharrte. Im selben Moment hielt der Wolf inne, keine zwei Meter von ihm entfernt. Isbrand konnte sehen, wie der Wolf rechts und links an ihm vorbei sah und die Zähne noch weiter entblösste. Wut sickerte aus der Bestie, wie Blut aus Isbrands Wunden.

Dann wurde es langsam heller. Das Licht kam von hinter Isbrand. Zuerst dacht er, der Wolf selbst hätte begonnen zu leuchten, aber so war es nicht. Dann erschien eine Gestalt in seinem linken Gesichtsfeld und nur einen Augenblick später auch rechts neben ihm. Isbrand war sich sicher, dass es nur weitere Schwarzmähnen sein konnten, wagte aber nicht, den Blick von dem Wolf vor ihm abzuwenden, als können er den Wolf nur mit seinem Blick davon abhalten ihn anzugreifen. Dann bemerkte er, dass das Licht von den Gestalten rechts und links neben ihm ausging und mit jedem Schritt den sie taten konnte er sie besser erkennen. Es waren ebenfalls Wölfe. Aber kleiner und stämmiger als die Schwarzmähne, mit einem Fell wie Moos auf grobem Fels. Und zwischen ihren Strähnen waren regelmässige Muster aus Licht zu erkennen, genau wie auf dem Menhir.

Die beiden Neuankömmlinge gingen weiter auf die Schwarzmähne zu, während diese immer unruhiger wurde. Sie machten keine Drohgebärden, noch gaben sie irgendwelche Laute von sich. Still und entschlossen fixierten sie den Angreifer, der nun zurückwich, einen langsamen Schritt nach dem anderen. Isbrand beobachtete die Szene ebenso regungslos wie fassungslos. Noch einen schweren Schritt machten die beiden Neuankömmlinge und die Schwarzmähne drehte sich um und verschwand in der Nacht. Dann hörte Isbrand ein Heulen in der Richtung in der der Riesenwolf verschwunden war, schon in einiger Entfernung. Und die anderen Wölfe des Rudels antworteten ihm, ebenfalls schon ein gutes Stück entfernt. Isbrand lehnte sich gegen den Stein und blickte weiter starr in die Nacht. Noch einmal erklang das Heulen der Schwarzmähnen, weit, weit entfernt. Er liess sich zu Boden sinken und und sein Griff um Schild und Speer lockerten sich.

Die beiden seltsamen grau-grünen Wölfe machten ebenfalls kehrt, blickten ihn nocheinmal an und Isbrand glaubte eine Form von Neugier in ihren Augen zu erkenne. Aber wer versteht schon Wölfe. Dann verschwanden sie, woher sie gekommen waren und Isbrand machte sich nicht die Mühen zu versuchen herauszufinden, wo das wohl sein mochte. Er war erschöpft, vielleicht verblutete er auch gerade, er war sich da nicht so sicher. Er würde einschlafen, bald. Vielleicht würde er nicht erwachen, aber er spürte, dass er keine andere Wahl hatte.

Schild und Speer immer noch in Händen blickte er weiterhin starr nach Osten. Da erschienen zwei weitere rote Augenpaare in der Nacht. Reflexartig griff er wieder fester zu, und schneller als er es für möglich gehalten hatte war er wieder auf den Beinen, hatte das Schild vorgeschoben, in den Boden gerammt und mit dem anderen Fuss Rückhalt gegen den Stein gesucht, das alles in einer einzigen flüssigen Bewegung. Aber nun erkannte er, das es keine Wolfsaugen waren, die da auf ihn zukamen und schon war die Form eines Menschen im schwachen Schein des Steins zu sehen, der immer noch leuchtetet. Eine Riese, ein oder zwei Köpfe grösser als Isbrand kam ruhigen Schrittes auf ihn zu, gekleidet in schwarze Rüstung, der Helm ein Wolfsschädel mit leuchtend roten Augen.

“Dein Leben endet hier, …” sprach die Gestalt als sie, näher kam, “… Stoneborn”.  Isbrand musste lachen, “Erzähl mir etwas Neues!”
Dann wurde es schwarz um ihn herum und sein altes Leben endete in der Tat.

 


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